impulse
Digitales Magazin • April 2024
Jean-Claude Baudet
dirigent klaus mäkelä und die jugendpädagogik
Der Maestro, die Maestra steht vor dem Orchester und lässt den Blick über die Anwesenden schweifen: Da sitzen sie nun, die Profis, bereit, gemeinsam ein grossartiges Kunstwerk zu schaffen. Jedoch – beim genauen Hinschauen sieht man, dass die Profis keine Instrumente dabeihaben. Denn sie sind selber ihr Instrument: mit ihrem Körper, ihren Empfindungen und ihrem sich entwickelnden Denken. Und ja, sie sind Profis – Jugendliche, die das Jugend-Dasein in allen Facetten kennen: Sie wissen, was es heisst, sich mit diesem Körper arrangieren zu müssen, wie schwierig es manchmal sein kann, nicht von den Gefühlen überrannt zu werden und wie anstrengend es ist, zu eigenen Erkenntnissen über die Dinge dieser Welt und sich selber zu gelangen. Und so erwarten sie, dass vor ihnen ebenfalls ein Profi steht – ein Mensch, der sich professionell den Bedürfnissen der Jugendlichen widmen will, um zu erkennen, wie und womit er ihnen begegnen kann und soll. So dass eine gemeinsame Lebensmusik entstehen kann, in der alle Beteiligten ihre eigene Melodie zu finden vermögen.
Doch was hat das mit Klaus Mäkelä, diesem jungen finnischen Dirigenten, zu tun?
In einem Film im Rahmen der Sendereihe «Sternstunde Musik» von SRF war kürzlich ein Porträt dieses talentierten Musikers zu sehen und zu hören (leider ist der Film aktuell nicht verfügbar). Und dieser junge Künstler setzt nicht nur im Musikalischen, sondern auch im pädagogischen Rahmen innerhalb des Musikgeschehens Massstäbe, die für uns Erziehende sowohl impulsierend als auch bestätigend sein können. Ein paar dieser Gedanken seien hier resümiert.
Mäkelä, der aktuell gleichzeitig die Sinfonie-Orchester von Oslo und Paris leitet und für die Zukunft bereits Zusagen für die Orchesterleitung in Amsterdam und Chicago gemacht hat, durfte als Jugendlicher ein wertvolles Geschenk entgegennehmen: Er konnte schon früh mit professionellen Musikern das Dirigenten-Handwerk üben und bekam dafür grosse Zeitressourcen. Ganz nach dem Motto «Dirigieren lernt man nur beim Dirigieren» bekam er viele Gelegenheiten, seine Kunst zu vertiefen und zu verfeinern. Fehler wurden mit Humor quittiert und spornten ihn an, es sofort besser machen zu wollen. Folgerichtig nutzt er die Probenzeiten mit seinen Orchestern, um maximal viel Spielzeit für die MusikerInnen zu ermöglichen. «Reden ist Zeitverschwendung» lautet sein Credo; lieber will er erleben und geniessen, was das Orchester aus dem Moment heraus erschafft, probiert, verwirft und schliesslich in eine eigene Form giesst, in der die Qualitäten der MusikerInnen aufs Wunderbarste zum Tragen kommen können. Selbstverständlich leistet Mäkelä vor den Proben intensive Vorbereitungsarbeit, so dass er mit einer klaren Vorstellung des zu erschaffenden Werkes vor das Orchester treten kann. Kurze, klare Impulse an die MusikerInnen genügen, damit das Proben, das Musizieren losgehen kann. Viel wichtiger als das Reden ist ihm sein seelisches Mitschwingen in den Proben oder im Konzert, also im künstlerischen Prozess: «Den Taktstock schwingen kann jeder, der etwas von Musik versteht», meint er, damit erschaffe man noch kein Kunstwerk. Ab und zu ein Blick auf den Dirigenten genügt den MusikerInnen und sie wissen, in welche Richtung der Maestro sie weisen will: Offene oder geschlossene Augen, die Mimik, die Innigkeit oder die Energie in seiner Haltung, die Bewegung der Arme – all dies sagt ihnen mehr als tausend Worte.
Ein faszinierender Gedanke für uns PädagogInnen und Erziehende, die wir doch gerne viel reden. Wie schwingen wir eigentlich mit, wenn unsere SchülerInnen etwas erschaffen, leisten, bewegen? Nehmen die SchülerInnen schon an unserer Haltung wahr, was wir ihnen nach der getanen Arbeit sagen werden – oder eben nur denken und nicht sagen werden?
Fehlt noch ein Punkt in der Auseinandersetzung mit dem Dirigenten Klaus Mäkelä: Es gibt sie zwar, den Maestro oder die Maestra. Aber es soll keine Hierarchie geben in der Orchestergemeinschaft, auch wenn nicht alle dieselbe Aufgabe haben. Ob Geigerin am vierten Pult, Solist an der ersten Oboe oder Dirigentin – alle sind sie gleichwertige Musizierende in der Orchestergemeinschaft. Klaus Mäkelä interessiert sich darum persönlich für alle Menschen seiner Orchester: Wer sind sie? Wie geht es ihnen? Was bewegt sie? «Es gibt keine Probe, kein Konzert, wo er dir nicht ein paar Mal in die Augen geschaut und dich wahrgenommen hat. Er interessiert sich für dich und zeigt dir das auch», so eine Musikerin des Pariser Orchesters.
Es sollen hier keine abschliessenden Erkenntnisse aus Klaus Mäkeläs Wirken für uns JugendpädagogInnen formuliert werden; dies können die Lesenden selber tun. Eine Fragestellung sei aber erlaubt: Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist es, das Interesse der Jugendlichen hinaus in die Welt, auf das Weltgeschehen zu lenken. Wie oft schauen wir Lehrenden eigentlich über unseren Gartenzaun in die Welt hinaus und lassen uns von anderen Menschen für unsere Aufgaben inspirieren?
Jean-Claude Baudet • Oberstufenlehrer Rudolf Steiner Schule Zürich, Mitglied Seminarleitung.